Mit dem Siegener Nachtwächter auf Reisen in eine dunkle Zeit 

 Schüler der S I und S II am 4. November 2009


laterne
 
balthasar
 
zuhoerer

scheiterhaufen
 

Es ist schon stockdunkel, als unsere kleine Gruppe bibbernd unter ein paar Bäumen auf den Nachtwächter wartet. Kleine Laternen mit Kerzen darin spenden ein wenig Licht, aber die finstre Gestalt in Mantel und Hut bemerken wir erst, als sie schon beinahe in unserer Mitte steht. Eindringlich wird uns klar gemacht, uns bloß unauffällig zu verhalten. Die Siegener sind nicht gut zu sprechen auf Fremde. In kleinen Gruppen schleichen wir uns tiefer in die Schatten und schrecken in den Bäumen die Krähen auf. Zeternd und krächzend fliegen sie davon.

Endzeitstimmung.

Dieses Wort benutzt unser Nachtwächter immer wieder. Im 17ten Jahrhundert herrschte genau das in Siegen – Endzeitstimmung. Die Glaubenskriege waren gerade erst vorbei, die Menschen hungerten und litten unter Krankheiten und Seuchen, und genau dort befinden wir uns nun. Aberglaube beherrscht den Alltag. „Usswärtigen“ ist man nicht wohl gesinnt. Diese brächten das Unglück, den Hunger, die Seuchen, munkelt man. Ebenso wie der Südwind oder die schwarze Katze, die von links nach rechts über die Straße läuft. Der Glaube an Hexerei und Zauberei ist weit verbreitet. Und Agnes, die Hebamme, wird dessen beschuldigt – der Frau des Bürgermeisters hat sie einen Kräutersud verabreicht, gegen die Schmerzen bei der Geburt. Doch die Frau ist gestorben, und ihr Mann sinnt auf Rache.

Durch das Löhrtor führt der Wächter uns weiter hinauf in die Stadt. Jetzt kein falsches Wort mehr. So unauffällig wie möglich bewegen wir uns den Berg hinauf. Bloß kein Aufsehen erregen. Wer es doch tut und nicht den hiesigen Dialekt beherrscht, wird mit Argwohn bedacht. Man sucht Sündenböcke in diesen Zeiten.

Am ehemaligen Siechenhaus, das zu unserer Zeit ein Teil des Stadtkrankenhauses sein wird, machen wir halt. Mönche pflegen hier Kranke und unser Nachtwächter gibt uns eine kleine Einführung in Siegerländer Platt.

Mehr als „Nodda“ und „He-ö“ und „’n jo“ braucht man nicht. Keine gesprächigen Leute, diese Siegener. Wer es wagt, mehr zu reden, wird als „Lälles“ bezeichnet. Dummschwätzer.

Durch den Grünen Pfuhl folgen wir den Spuren der armen Agnes. Erst einmal der Hexerei bezeichnet, gibt es in vielen Fällen kein Entrinnen mehr.

Für Agnes ergibt sich ein kleiner Hoffnungsschimmer. Sie soll einen ordentlichen Prozess erhalten. Ordentlich für die Verhältnisse, in denen wir uns befinden. Ein Ankläger muss nicht einmal nennen, weswegen er jemanden anklagt. Es reicht, wenn genug andere Leute ebenfalls Agnes anklagen. Und sie ist wegen ihres Berufes vielen ein Dorn im Auge.

In Gestalt von Pfarrer Praetorius könnte sich ihr Schicksal jedoch vielleicht noch zum Guten wenden. Er ist einer der wenigen, wie wir von unserem Nachtwächter erfahren, der sich gegen die menschenunwürdigen Hexenprozesse aussprach und dafür von Frankfurt a. M. nach Siegen versetzt wurde. Seine Karriere ist ruiniert. Nun legt er ein gutes Wort für Agnes ein. Doch der Bürgermeister ist zu mächtig. Mit falschen Behauptungen über den Pfarrer wird dieser aus dem Weg geräumt und Agnes büßt ihren einzigen Fürsprecher ein.

Dennoch ist nicht alles verloren. Vielleicht hilft ihr Oheim, der ein angesehener Bürger ist. Doch auch er möchte sich nicht das Handwerksgeschäft vermiesen lassen und so legt er kein gutes Wort für seine Nichte ein.

Es sieht schlecht aus für Agnes. Sie wird in den Siegener Olbersturm gesperrt und im Keller dieses Gefängnisses muss sie ausharren. Es folgt zuerst die Befragung und, wenn kein Geständnis erwirkt wird, eine zweite mit Vorzeigen verschiedenster Folterinstrumente. Sollte abermals keine Beichte abgelegt werden, erreicht man dies meist mit der peinlichen Befragung, im Sinne von „peinlich“ wie „Pein“. Wir alle besitzen genügend Phantasie, um uns ein solches „Gespräch“ vorstellen zu können, weshalb der Nachtwächter auch keine Details preisgeben muss.

Geschlossen und noch immer auf Unauffälligkeit bedacht, geht es am Hause des Henkers vorbei den Berg hinauf. Der beginnende Regen schreckt uns nicht, Agnes weiterhin zu begleiten. Durch die Tore des Schlossgartens und dann über unebene Pfade stolpern wir dem Scheiterhaufen entgegen, der schon lichterloh brennt.

Niemand wollte und wir konnten Agnes nicht helfen, die eigentlich nur ihre Arbeit verrichtet und deshalb angeklagt wurde. Letztendlich sind wir froh, wieder in unsere Zeit zurückkehren zu können, in der Siegen doch ein recht humaner Ort ist.

Dachten wir. Bis wir feststellen müssen, dass man uns im Schlossgarten eingesperrt hat. Jedes Tor ist verschlossen, da hilft auch alles Rütteln nicht. Nach minutenlangem Rätseln, was nun zu tun ist, klingelt unser Nachtwächter bei der alten Jugendherberge und zu unserem Glück ist dort noch jemand anwesend, der uns aufschließt. Wir alle sahen uns schon bibbernd und schlotternd vor Kälte und Nässe die Nacht im Schlossgarten zubringen.

Soviel Abenteuer hatten wir dann doch nicht gebucht!

 

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Caroline Bals und G.K. Balthasar